Montag, 29. September 2014

Rezension: Montsegur 1244

Cover: Montsegur 1244
Narrativa-Reihe
Verlag: Ulisses Spiele
Mit der Reihe der Narativa hat Ulisses zur RPC 2014 einen Versuchsballon gestartet: „Klassische“ Erzählspiele, welche zu einem Großteil aus den Entwicklungskanälen der Forge entsprungen sind, werden in kleinen Luxusauflagen herausgebracht. Ich betrachte hier jetzt eines der PDFs aus dieser Reihe.
Diesmal handelt es sich um Montsegur 1244. Und dabei haben wir es mit einem ungewöhnlichen Aspekt zu tun: Zum einen ist es in seiner Geschichte der jüngste Titel von der Ursprungsausgabe her (das Original erschien 2009) und der grundlegende Zopf der Rollenspielszene wurde hier abgeschnitten: Bei Montsegur 1244 handelt es sich um ein spielleiterloses Spiel.

Ein bisschen was zur formalen Aufmachung: Wer zuerst die Datei einfach so aufschlägt mag für den Augenblick sehr überrascht sein, weil er mit einer PDF-Datei „erschlagen“ wird, die auf 113 Seiten zurückgreift. Das stimmt so nicht: Eigentlich arbeitet man „nur“ mit 57 Seiten, die zum eigentlichen Regelwerk gehören. Der Rest sind zusätzliche Materialien – größtenteils normalgroßes Spielkarten - welche ebenfalls in das PDF-Dokument eingepflegt worden sind, um das Spiel spielbar zu machen.
Problematisch bei dieser Geschichte ist allerdings folgender Punkt: Jede Karte wird als einzelne Seite gehandelt. Das mag jetzt nicht so stark zu Gewicht fallen, aber: Man wird hier ein wenig am Drucker mit den Einstellungen spielen müssen, um nicht ständig mit zentriert gehaltenen abbildungen zu kämpfen müssen. Ohne die Kritik an diesem Punkt in der Handhabung des PDFs zu hoch schießen zu lassen (ich weiß nicht wie die limitierte Edition von Montsegur ausgesehen hat, was diese zusatzkarten anbelangt), aber: Das hätte man für den normalen Hausgebraucht besser lösen können. (Letzten Endes wird jeder von uns mit einer Schere an die einzelnen Karten herangehen müssen. Von daher hätte man die Handlungskarten durchaus in einem speziell für dieses PDF ausgelegten Seiten-Layout zusammenfassen können.)

Huch? Handlungskarten? Was ist das? Und genau da beginnen wir uns langsam in die Verstrickungen des Spiels zu verlieren. Wo fange ich also am besten für diese Rezension an?

Wie ich bereits festgehalten habe: Das eigentliche Regelwerk besteht aus 57 Seiten. In denen wird die Geschichte der Kartarer, um die es ausschließlich in Montsegur geht. Um Genau zu sein: Es geht um die Belagerung der Burg Montsegur, die vom Mai 1243 bis in den März 1244 anhielt, nachdem die Katharer zuvor in einer nahegelegenen Gemeinde den örtlichen Inquisitor Guillaume Arnaud umbrachten. Das Spiel selbst ist in vier Akten (Plus Prolog und Epilog) aufgeteilt. Der Prolog ist das Attentat von Avignonent (Quasi als Einstimmung in den folgenden Verlauf des Spiels und der Epilog beschreibt das große Ende der Kartharer, die sich in ihrem historischen Original zu einem Großteil gegen eine Amnestie durch den Papst und für den Scheiterhaufen entschieden hatten, um ihrem Glauben treu zu bleiben, der als Häresie galt. (Bis auf streng regulierte Ausnahmen, natürlich.)

Den größten Teil des Spielgeschehens aber stellt die eigentliche Belagerung von Montsegur dar, beginnend bei den ersten Monaten, wo noch ein gewisser Wohlstand herrschte und das leben auf der Burg durchaus Lebenswert war, bis in den Winter hinein, wo man immer mehr mit der Knappheit an Vorräten und der restlichen Demoralisierung der kompletten Situation zu kämpfen hat.
Dafür stellt das Spiel 12 Hauptcharaktere zur Verfügung, welche Tatsächlich von den Spielern übernommen werden. (Ja, das habt ihr richtig gehört: Es gibt keine Charaktererschaffung im klassischen Sinn, weil diese 12 Figuren auf historischen Vorbildern aufbauen.) Dafür ist aber auch eine direkte Beziehungskarte dabei, die aufzeigt, wie welche Figur zu einer anderen steht.
Um allerdings eine Möglichkeit der Individualisierung trotzdem aufrecht zu erhalten, steht auf jedem Charakterblatt, neben einem Portrait der Spielfigur und einer kurzen Aufklärung des Hintergrundes ein Satz aus drei Fragen, welche der Spieler beantworten muss. (Der Sinn dahinter ist es, ein wenig mehr tiefe in die Figur zu bekommen, um die jeweilige Interpretation des Spielers seiner Figur sichtbar zu machen. Und dem Spieler hinweise zu geben, was er da eigentlich für eine Schablone in der Hand hat.)

Wie funktioniert das Ganze also? Im Grunde genommen: Reihum. In jedem Akt bereitet ein Spieler eine Szene vor, in die er seinen Charakter (und hinzugezogene Charaktere) einbringt. Dafür werden Szene und Handlungskarten verteilt, die gewisse Elemente ins Spiel bringen können.
Szenekarten sind kurze, prägnante Einsätzer, welche als Inspirationshilfe dienen können und zu Beginn einer Szene von dem Spieler gezogen werden, der die entsprechende Szene vorbereitet. (Hier sollte man erwähnen, dass Montsegur von einer Idealanzahl von 3 Spielern ausgeht. Falls das nicht der Fall sein sollte, werden aber entsprechende Hinsweise geliefert, wie man mit größeren Runden umgehen kann/sollte.) Außerdem kann man durch die Abgabe von Szenekarten das Erzählrecht eines anderen Spielers übernehmen.

Handlungskarten sind besondere Karten, die zusätzliche Elemente ins Spiel bringen können. Diese können bestimmte Ereignisse sein, aber auch besondere Gegenstände. (Hierbei geht es um zusätzliche Fragen, wie was mit besonderen Reichtümern geschieht, die sich während der Belagerung auf der Burg befinden.) Das heißt, dass auf diese Weise neue zusammenhänge ins Spiel gebracht werden, die anschließend zu tragenden Handlungsfäden werden, welche im Verlauf die Verknüpfungen zwischen den einzelnen Szenen darstellen, die in einem Akt vorkommen.

Als Orientierungshilfe dafür existiert in den Anhängen ebenfalls eine Art Spielbrett, auf dem man markieren kann, an welcher Stelle des Spiels man sich befindet und welche grundsätzlichen Gegebenheiten (in Form von Karten) das Geschehenzusätzlich mitbestimmen.

So weit so unverständlich. Tatsächlich handelt es sich bei Montsegur um das vermutlich „Brettspieligste“ spiel der Narativa Reihe, weil es mit seinem Gestellten, extrem engen Setting einen unglaublichen Fokus auf eine bestimmte Situation legt, welche genaue, grundlegende Seitenhandlungen bereits festschreibt. (Alles findet weitestgehend innerhalb der Burgmauern statt. Die Welt drumherum Interagiert maximal mit einem Pfeilhagel mit uns, wenn wir die Nase kurz aus dem Burgtor stecken.) In diesem Sinne hat man hier Quasi das klassischste Szenario einer Sandbox, das man sich nur Vorstellen kann. Um allerdings Spielern dabei eine Hilfestellung für das Setting zu geben gibt es in den Anhängen noch entsprechend kurze Beschreibung der soziologischen Lage der Zeit damals. (Wie spielen keine Fantasy, sondern bewegen uns in einem relativ genau erforschten historischen Setting. Trotzdem dürften die wenigstens mit dem Mittelalter wirklich etwas anfangen können, sondern sich eher mit der modernen Denke von Fantasysettings mit mittelalterlichem Anstrich beschäftigen. Um sich darin zurechtzufinden und entsprechend passende Rollenklischees zur Hand zu haben (oder überhaupt Geschlechterrollen treffend erkennen zu können) ist dieser Bereich wirklich bitter notwendig – wie ich schon sagte: Das Problem mit der unvertrauten Vertrautheit.)

Fazit

Ich weiß gerade nicht, was ich sagen soll: Ich kann gerade bei spielleiterlosen Spielen alle Gründe verstehen, warum man für einen schnellen Einstieg ins Spiel ein möglichst eng gefassten Setting aufstellt. Viele Dinge, die bei der Erstellung eines losen Settings schon mal für sich betrachtet einen kompletten Spielabend für sich einnehmen können (ein vergleich wäre hier Vampire City) entfallen, wodurch man mehr Zeit für das eigentliche Spiel hat. (Montsegur für sich betrachtet ist gerade darauf ausgelegt, dass nur die gröbsten Details noch geklärt werden müssen und anschließend anhand des Recht freien Mechanismus mit den auf Assoziationen ausgelegten Karten als Hilfsmittel einfach gespielt wird.
Angesichts der Tatsache aber, dass gerade das historische Mittelalter eben nicht zu den vertrauten Settings unseres Hobbys gehört, bleibt aber die Notwendigkeit der zusätzlichen Kapitel, die ursprünglich für die italienische Ausgabe produziert worden sind, bitter Notwendig. (Und die Tatsache, dass einer diese Kapitel sich dermaßen aneignet, dass er/sie als Berater für die entsprechenden Verhältnisse dienen kann. Oder aber man hat eh einen Historiker mit von der Partie.) Schon allein deswegen kann es sein, dass die Zugänglichkeit zum Spiel etwas problematisch wird. Wir haben keine passenden Vorstellungen für diese Zeit. (Zumindest nicht unter normalen Umständen.) Somit sind wir tatsächlich auf jede weitere Hilfestellung angewiesen, die hier geboten wird.
Dann ist das Problem natürlich vorhanden, dass die Natur von Erzählspielen, denen gerne auch mal der brettspielige Charakter vorgeworfen wird, in diesem Zusammenhang ganz besonders stark ausgeprägt, weil die Konzentration auf eine Rolle hier so präzise Vordefiniert wird, dass die Kontrolle über Wertverteilungen hier auf das absolute Minimum reduziert wird. Aber: Im Rahmen der vorhandenen Bedingungen bekommt man dadurch das absolute Maximum an Freiheiten, das noch zur Verfügung steht. (Immerhin spielt man hier die Fiktion eines konkreten, historischen Ereignisses, nicht das historische Ereignis selbst.)
Unter diesen Bedingungen muss man sagen, dass wir hier sicherlich das Paradebeispiel an Erzählspiel haben: Eine konkrete Idee, für die ein treffender Mechanismus gebaut wurde. Das Problem dabei ist nur, dass Aufgrund der sehr eng gefassten Bedingungen bei diesem Spiel in seiner Gesamtheit den Anreiz schmälern könnte, was die Option des Wiederspielen wollens betrifft.
Insofern hat Montsegur tatsächlich ein gewaltiges Problem. Es ist insgesamt beinahe zu experimentell.
Aus diesem Grund muss man schon leider sehr genau darüber Nachdenken, ob dieses Spiel einem liegt. Andererseits: Eventuell hat das Spiel trotz allem einen Wiederspielwert, solange man den gefühlten Brettspielcharakter als zentrales, äesthtisches Moment an der gesamten Konzeption sieht. Immerhin werden auch in diesem Bereich einige sehr eng fokussierte, sehr linear und repetitiv verlaufende Spiele seid Jahren aufrecht erhalten und ständig erneut herausgekramt. Das muss sich in der Praxis erweisen.

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