Sonntag, 17. April 2011

Rezension: China Mieville - Die Stadt & Die Stadt

Cover: China Mieville - Die Stadt & Die Stadt
Verlag: Bastei Lübbe
In der britischen fantastischen Literatur scheint es im Moment eine lose Bewegung zu geben, die aktiv versucht alte Zöpfe abzuschneiden und dabei neue Ideen und eine andere Entwicklung in die Fantasy allgemein zu bringen. „New Weird “, wie sich dieser eher lose Autorenverbund selbst zu schimpfen scheint versucht dabei aktiv die bislang stilbildenden (und leider auch allzu häufig beschränkend einseitigen) Bildmittel in andere Richtungen zu bringen.

Die Stadt & die Stadt fällt in gewisser Weise in genau diesen besonderen Bereich hinein, indem der Roman ein Szenario als Setting präsentiert, das Simpel wie verwirrend zugleich ist. Der Titel gebende Aspekt des Romans, das Basisszenario, sind zwei miteinander benachbarte Städte. Allerdings nicht in dem Rahmen, wie wir es normalerweise mit dem Begriffen benachbart oder auch geteilt verbinden. Ähnlich wie Berlin vor der Wände kann man nämlich durchaus sagen, dass beide Städte in gewisser Weise zusammengehören, aber nicht indem sie irgendwo geografisch aneinander ragen, sondern indem sie zeitgleich denselben Bereich füreinander beanspruchen. Das sieht so aus, dass die eine Straßenseite der einen Stadt gehört, während die andere der anderen angehört. Das Ganze geht sogar soweit, dass ein Stockwerk eines Gebäudes in der einen Stadt sich befindet, während das andere sich in der anderen Aufhält.
Und um diesen unglaublich komplexen Bereich von belebt und unbelebt zu unterstreichen sind die Bewohner der beiden Städte von Klein auf dazu konditioniert aneinander vorbei zu leben, einander nicht zu sehen. Eine laute Einkaufsstraße in der einen Stadt kann dadurch zu einem menschenleeren Elendsviertel in der anderen Stadt werden. Wobei keiner der in dem entsprechendem Szenarien lebenden Personen auch nur im geringsten über den Zustand im jeweils anderen Szenario bewusst wird, während er „dort“ ist.

In dieses für den Alltagsverstand absurde Szenario lässt Mieville die Leiche einer jungen Frau auftauchen, die beide Städte miteinander zu verbinden droht, da sie in der einen ermordet wird, aber in der anderen abgelegt wurde. Und der weitere Verlauf beschreibt die Ermittlungen des Kommissars Borlú , der mit genau diesem Rätsel konfrontiert wird, dass jemand einen Bruch zwischen den beiden Städten geschaffen hat, indem er die Grenze überschritten hat ohne das dabei Alarm entstand, sowie eine komplette Beschreibung dieser obskuren Welt mit allen ihren gesamtgesellschaftlichen Winkelzügen, die diese Ermittlungen behindern und schwieriger machen.

Und wie es am Ende des Klappentextes heißt: „Will Borlú den Fall lösen, bleibt ihm nur ein
einziger Weg: Er muss allein in die verbotene Zwillingsstadt, um das Ungesehene sichtbar zu
machen … “

Das ganze klingt abstrus, ich weiß. Aber gerade dieses Moment des rein Absurden ist der treffende Aspekt, der dieser Geschichte ihre unglaubliche Stärke verleiht. Das fantastische Element in dieser Gesamtsituation ist nämlich nicht irgendein übernatürlicher Faktor, sondern lediglich der Hinweis auf eine ungewöhnliche Einstellungssache. Eine Frage nach Bewusstseinszuständen, wenn man so will, denn alles, was innerhalb dieser Geschichte passiert ist gänzlich gewöhnlich. Wir haben hier im Grunde einen gewöhnlichen Krimi in einer fantastischen, aber ansonsten alltägliche Gesellschaft. Und das macht die stärke des Romans aus, weil er nicht krampfhaft versucht überall übernatürliche Wesenheiten hinein zu pressen.

„Fazit“

Ein Fazit kann ich in diesem Sinn nicht wirklich geben, denn mit diesem Buch hat Mieville sich in eine Kategorie gebracht, die man so nur aus dem Film kennt, die aber auch nur auf einen Namen reduziert werden kann: David Lynch. Anders als Lynch ist der Handlungsbogen von Die Stadt & Die Stadt jederzeit zwar zu 100% nachvollziehbar. Gleich wie bei Lynch ist man am Ende des Romans allerdings hell auf begeistert, kann aber nur mit wenigen Hinweisen was an dem Buch toll ist sich erklärender Weise zu verständigen versuchen. Den Daumen genau drauf zu drücken ist aber kaum möglich. Vermutlich ist gerade der zur Philosophie des Existentialismus zählende Idee des Absurden, die Mieville hier überall durchblicken lässt, ähnlich wie die eher amüsant wirkenden Aspekte die an die Forschungsergebnisse der menschlichen Wahrnehmung oder auch an den von Virilio formulierten „Transitraum“ erinnern mögen. Wirklich fest sagen kann man es nicht.
Fest sagen kann man nur eines: Das Buch weiß zu begeistern. Und in diesem Sinne möchte ich „Die Stadt & Die Stadt“ wirklich jedem ans Herz legen, der bereit ist sich auf wirklich ungewöhnliche Ideen einzulassen.

Rezension: Die Larm-Chroniken (Labyrinth Lord Abenteueranthologie)

Cover: Die Larm Chroniken
Verlag: Mantikore Verlag
Nachdem der Manticore Verlag mit der deutschen Ausgabe von Labyrinth Lord sein erstes Rollenspiel auf den Markt gebracht hat, stellt Moritz Mehlem mit „Die Larm Chroniken“ die erste Abenteuer-Sammlung für den deutschen Markt auf, welche Anfänger-Charakteren auf den Stufen 1 bis 5 das Geschehen innerhalb einer Spielwelt zur Seite stellt.

Larm ist ein kleines Dörfchen am Fluss Dolm in den Bekannten Landen und soll vom Grundansatz her ein Auftakt und Rückzugpunkt für Anfängerrunden darstellen, von dem aus sich die Charaktere aus ins Abenteuer stürzen können. Aber wie es immer so schön heißt: Anfänger-Helden sind noch in den Lehrjahren. Und dementsprechend bietet auch dass Dörfchen Larm erst einmal einigen kleineren Zwist und ein paar Überraschende Handlungen, mit dehnen sich die Gruppe beschäftigen kann.

Insofern ist es wenig überraschend, dass das erste Kapitel sich ausschließlich um eine Ortsbeschreibung dreht: Welche wichtigen Personen gibt es? Wo sind diese anzutreffen? Wer treibt es mit wem und woraus resultieren dabei welche Probleme, sind im Grunde die Schlagwortfragen, die dabei geklärt werden. Und aus diesen Umständen entspringen dann teilweise (kombiniert mit ein paar Zufallstabellen) der eine oder andere Auftakt, um sich in die ersten Erlebnisse einer möglicherweise tödlich endenden Abenteurer-Karriere zu stürzen.
Die darauf aufbauenden Unterkapitel liefern dann anschließend ein paar Örtlichkeiten, die wirklich vor Gefahr nur so strotzen: „Die Mühle“ ist von einer Rattenplage zu befreien, ehe Larm das Brot ausgeht, während „Der vergessene Tempel des Thaxon“ von Untoten bereinigt werden muss, welche das Heiligtum einer mittlerweile beinahe in die Vergessenheit anheim gefallenen Gottheit besetzen. Und falls man das halbwegs mit heiler Haut überstanden hat, geht es noch darum ein Goblinlager auszuspionieren, dessen Bewohner die Umgebung unsicher machen.

Danach folgen wieder einzelne, kurze Abenteuer, die sich aber mehr aus dem kuscheligen Umfeld der Siedlung Larm herausbewegen und die Umgebung zumindest teilweise in Augenschein nehmen. In „Der Schrein des Grimic“ erforscht man auf der Suche nach einem übergroßen Rubin einen aufgegebenen Schrein, der mit tödlichen Fallen gespickt ist und in die Festung des Bergkönig ein Kobold mit seiner Bande Unruhe stiftet.

Wirklich interessant ist eigentlich zentral das Kapitel „Der Fluß Dolm“.
Das Abenteuer ist in sofern nämlich etwas anderes, weil hier ein gesonderter NSC in Form der Tochter des Bürgermeisters von Larm in den Vordergrund geschoben wird, die man zu ihrer Hochzeit (oder besser Verlobung) über den Fluss geleitet werden, um ihren späteren Ehemann kennen zu lernen. Wie das Leben aber so spielt, ist die Dame davon wenig begeistert und der Fluss will es den Spielern auch nicht einfacher machen, um diese Aufgabe zu erfüllen. Wilde Monsterstämme, Flusspiraten und sonstige Probleme inklusive.

Und zum Abschluss gibt sich mit „Die Rückkehr des Bergkönigs“ Glgnfz der Kobold noch einmal die Ehre. Diesmal terrorisiert er die Gegend um Larm von einer alten Zollstation aus, und bietet immer noch mehr als genug Ärger.

Ich verkürze das ganze um ein paar Details, denn die meisten Abenteuer laufen auf das gleiche Prinzip hinaus, dass man fast schon als Archetyp des Labyrinth Lord Abenteuers mittlerweile bezeichnen kann: Den Dungeon Crawl. Annähernd jedes Abenteuer endet früher oder später in einem Kampf in irgendeinem Labyrinth aus Gängen, Fallen und Gegnern die man bekämpfen muss. Prinzipiell ist nichts dagegen einzuwenden, fraglich ist nur, ob tatsächlich dauerhaft und ständig die Runden darauf abfahren werden. Da dieser Band aber bereits für den Anfang zu einem gewissen Grad alles vereinfacht und damit auf eine simple Weise erst einmal die grundlegende Herangehensweise für diese Umstände bereitstellt steht sich dort sicher nichts gegenseitig im Wege. Das soll jeder für sich entscheiden.

Das interessanteste Abenteuer in dem gesamten Bereich steht allerdings fest. „Der Fluß Dolm“. Insgesamt ist das Abenteuer zwar mit dem Flussverlauf einer stringenten Linearität unterworfen, die nur leicht dadurch aufgelockert wird, dass ein paar unberechenbare Faktoren ins Spiel gebracht werden, indem man pro Flussabschnitt jeweils ihre Ereignisse auswürfelt und dementsprechend als SL sich vorbereitet. Der Punkt, der hier heraus sticht ist allerdings ein anderer: Es wird ein NSC ins Zentrum gerückt, der noch nach dem großen Abenteuer selbst sucht und nur bedingt von der Idee begeistert ist, bald am Gängelband leben zu müssen.
Hier bietet sich wirklich Potential zur Interaktion zwischen den Spielern und der Welt, die der SL so lebendig wie ihm nur eben möglich gestalten kann. Immerhin ist alles wohl und wehe der Scs von der Laune der „kleinen Göre“ abhängig. Gerade das kann insgesamt zu sehr viel Chaos, aber auch zu einigem Spaß führen.

Fazit

Was haben wir also hier? Einen Abenteuerband für den blutigen Anfänger. Im Guten wie im Schlechten. Die einzelnen Abenteuer an sich machen einen grundsoliden Eindruck, auch wenn nicht alle unbedingt durch eine unglaubliche Fülle an Ideenreichtum sprudeln. Grundsätzlich muss man nämlich durchaus sagen, dass der Geschmack des Dungeoncrawls nicht sonderlich vielschichtig ist, sondern eher für den simplen, schnellen Spaß zwischendurch, bei dem es nicht sonderlich auf viel Interaktion ankommt. Fans des Hack&Slay dürften also durchaus auf ihre Kosten kommen. Ähnlich wie solche, die einige, mehr oder weniger simple Rätsel mögen.
Für die anderen, die sich ein wenig mehr Interaktionsmomente wünschen, dürfte bei einem Spielleiter, der sich die Mühe macht entsprechende Möglichkeiten auszuschmücken hingegen das bereits herausgestellte „Der Fluß Dolm“ einen interessanten zweiten Blick wert sein.

Dadurch dass die Larm-Chroniken allerdings ein Sammelband verschiedener, älterer Publikationen von Melem ist, erkennen solche, die sich bereits etwas länger mit Labyrinth Lord beschäftigt haben sicherlich die entsprechenden Titel wieder, und können dadurch selbst entscheiden, ob sich die Anschaffung für sie jeweils lohnt. Der Rest, der sich nach der ersten Lektüre des GRWs von LL immer noch gefragt hat, was man mit diesem Spiel eigentlich tun soll, sei diese Abenteuer-Sammlung ans Herz gelegt. Ich denke man kann mit den Larm-Chroniken durchaus einen eigenen, gründlichen Eindruck über Möglichkeiten und Verfahrensweisen (sowie die Beschränkungen) von LL erfahren und dadurch für sich entscheiden, ob sich das Spiel für einen selbst lohnt. Der eine oder andere One-Shot und damit spaßeshalber durchgeführte, kurzweilige Spielabend sollte auf jeden Fall drin sein.

Spielleiter, die sich etwas trauen und ihre Spieler auch gerne im positiven quälen, werden allerdings wohl tatsächlich nur mit der Fahrt auf dem Dolm ihren Spaß haben. Diese Abenteuer begeistert durchaus, verlangt aber einiges an Planung im Vorfeld, um die entsprechenden Szenen auch wirklich ausgeschmückt zu bekommen, was die Tochter des Bürgermeisters anbelangt. Zumindest vielen mir auf Anhieb einige Dinge ein, die man da testweise ausprobieren könnte.

Insofern ist der gesamte Band zwar keine Kost die jedem schmecken mag, aber durchaus für Freunde des Dungeoncrawls sicherlich zu empfehlen. Und zumindest ein brauchbarer Einstieg in die „Welt“ von Labyrinth Lord.