Donnerstag, 11. Oktober 2012

Rezension: Space 1889 Grundregelwerk

Cover: Space 1889 GRW
Verlag: Uhrwerk-Verlag
Mit Space 1889 ist eines der „Geburtsprojekte“ des Uhrwerkverlages 2012 endlich ans Licht der Öffentlichkeit gelangt. Ursprünglich 1988 mit einem anderen System erschienen hat der Uhrwerkverlag hierbei sich zusätzlich ins Zeug gelegt, den Hintergrund von Space 1889 auf das Ubiquity-System anzupassen.

Was heißt das jetzt im Detail?

Der Hintergrund von Space ist kurz formuliert „das britische Empire im Weltall“. Die lange Erklärung lautet folgender Maßen: Eine der Basisannahmen des 19 Jahrhunderts, die s.g. Äthertheorie, hatte sich als korrekt herausgestellt. Thomas Alva Edison, in unserer Realität für solch nützliche, wenn auch mittlerweile ausgestorbene Erfindungen wie die Glühbirne bekannt, konnte aufgrund dieses universalen Trägermediums eine Erfindung machen, die ihn zum Mars brachte und dort Bruchlanden lies.

Und der Mars stellte sich als bewohnt heraus. Hier degenerierten die Überreste einer längst gefallen Hochkultur vor sich hin und trauerten ihrer Vergangenheit nach. Jedoch hatten sie aus dieser Zeit eine spezielle Ressource, die es Edison ermöglichte den Mars wieder zu verlassen: Flugholz. Extrem rar und seitdem für die Vormachtstellung in der Raumfahrt des britischen Empires bitter Notwendig.

Dementsprechend ist der Hintergrund von Space1889 eine Erde, die sich auf den entsprechenden politischen Stand von 1889 befindet, wie er historisch in jedem Geschichtsbuch zu finden ist, jedoch hat jede einzelne Großnation ihre entsprechenden zusätzlichen politischen Konsequenzen aus der Tatsache gezogen, dass der Weltraum erobert wurde und daraus neue Probleme zum Teil für sich erschlossen. Man erfährt schwerpunktmäßig viel über die vereinten Königreiche und ihre politische Lage, aber auch der Rest der Welt mit seinen jeweiligen besonderen Persönlichkeiten und Leitmotiven wird umrissen. Immer wieder mit kleineren Ratschlägen versehen, was eine entsprechende Person, die aus der jeweiligen Gesellschaft stammt, erleben könnte.

Für die extraterrestrischen Erfahrungen muss man hinzufügen, dass Space nicht das komplette Sonnensystem erfasst, sondern lediglich die s.g. „inneren Welten“ erforscht hat. Das bedeutet, dass für die Menschheit lediglich Merkur, Mars und Venus (und natürlich Luna) zugänglich sind. (Also alles zwischen Sonne und Asteroidengürtel.) Der Grund dafür ist letzten Endes, dass die menschen zwar Dank ihrer Erfindungsgabe sehr viel schaffen konnten. Ihre Technik aber bei weitem nicht ausreicht, um wirklich alles zu erfassen. Eine andere Erklärung ist wohl dabei auch, dass man den Asteroidengürtel als Grenze erfasst, hinter der nur noch zerstörtes Land sein kann. (Die These ist, dass die Sonne früher einmal ein Großer Ball war, der sich langsam zusammengezogen hat, und die Planeten in diesem Prozess ausgestoßen wurden. Der Asteroidengürtel währe demnach das Überbleibsel von Planeten, die schon ihre Haltbarkeit überschritten hatten und demnach zu Trümmern zerfallen sind.)

Der Mars ist wie bereits erwähnt ein alter Planet, der weites trostloses Land darstellt und von den Überbleibseln einer einst hohen Kultur noch bevölkert wird. Diese Kultur sind die Kanalmarsianer, die allerdings nicht die einzige Gruppe ist. Zusätzlich leben hier zwei weitere Völker, die unterschiedliche Entwicklungsformen der Marsianer darstellen. Hügelmarsianer sind das, was einem edlen Wilden am nähesten kommt. Sie sind die Ansprechbaren, vernünftigen Wesen, welche im Einklang mit ihrem Land leben. Allerdings sind sie auch irgendein Zwischending, da sie sowohl skeptisch beäugt werden, wie auch immer als hilfreicher Verbündete herangezogen werden, wenn die Not es verlangt. Die dritte Gruppe schließlich sind die Barbaren. Bösartige Primitive, die alles auf Sicht töten, was sich bewegt. Egal ob Mensch, Hügel- oder Kanalmarsianer. (Und zwischendurch greifen diese Hochlandmarsianer auch einander an. Das sie die evolutionstechnisch rückschrittlichste Spezies der drei Völker sind, stellen sie alles dar, was nur an Bösartigkeit und Kannibalismus vorstellbar ist.)

Die Venus ist ein Dschungelplanet, der von einer jungen Spezies aus Echsenmenschen bevölkert wird, die gerade an der Schwelle zur Kulturellen Evolution stehen und demnach noch leichte Beute für die Besucher aus fremden Welten ist. Hier haben sich (anders als auf dem Mars) besonders stark die Deutschen unter Bismarcks Federführung ausgebreitet. Was ihnen an Flugholz fehlt, hat das deutsche Kaiserreich an Erfindungsreichtum wett gemacht.

Der Merkur ist als Welt in direkter Nähe zur Sonne noch in der Entstehung begriffen. Da sich stets nur jeweils eine Seite dieses jüngsten Planeten des Sonnensystems zur Sonne gerichtet befindet und die andere immer von der Sonne abgewandt, ist lediglich ein ziemlich kleiner Streifen Zwielichts, zwischen den beiden Seiten überhaupt bewohnbar. Hier befindet sich ein Fluß, der einmal um den ganzen Planten sich Ringartig windet und an dessen Ufern alles lebt, was der Merkur jemals hervorbringen konnte.

Jeder dieser Planeten ist sehr Umfangreich beschrieben mit seinen jeweiligen Kulturen (wenn überhaupt vorhanden), den entsprechenden Entwicklungen auf den Planeten, seid die Menschheit ihren Fuß auf den jeweiligen Himmelskörper gesetzt hat, und mit entsprechenden Beispielen aus Flora und Fauna, die den Menschen hier gefährlich werden könnten. (Das umfasst natürlich auch Krankheiten und Gifte.)

Als System wurde für diese Neuauflage das Ubiquity-System herangezogen, wie bereits erwähnt. Das heißt, dass ein Charakter aus Archetyp und dazugehöriger Motivation besteht. (Ein Archetyp ist eine Rolle, welche den Charakter umschreibt. Die Motivation ist das wichtigste Ziel, welches der Charakter verfolgt.) In Werten wird ein Charakter dabei durch Primäre und Sekundäre Attribute beschrieben, sowie durch Fertigkeiten, Talente und Ressourcen, sowie eventuell schwächen. Diese entsprechenden Eigenschaften werden durch das verteilen von einer jeweils festgelegten Anzahl von Punkten bestimmt. (Respektive im Falle der Sekundären Attribute aus den Primären Attributen abgeleitet.)

Das man dabei allgemein eine ausreichend Umfangreiche Liste an Qual der Wahl für Fertigkeiten und Talente hat, muss ich hier wohl nicht wirklich extra noch erwähnen, oder? Dasselbe gilt für den mittlerweile obligatorisch gewordenen Ausrüstungskatalog, der sowohl auf der Technik der Erde des 19. Jahrhunderts aufbaut, als auch entsprechende fremdweltlerische Spielzeuge präsentiert.

Unentschlossene bekommen dabei auch noch eine kleine Auswahl an Archetypen für Erde und Mars zur Seite gestellt, die ein sofortiges losspielen ermöglichen.

Der Sinn dahinter ist, dass Ubiquity ein „W Irgendwas“-Poolsystem ist. Das Bedeutet, dass es letzten Endes egal ist, welche Würfel man verwendet, solange sie eine gerade Anzahl an Augen aufweisen. Der Pool an Würfeln, die man wirft wird aus Attribut und Fertigkeit (sowie eventueller Boni oder Mali) zusammengerechnet und anschließend Zählt man die Anzahl geworfener gerade Augenzahlen zusammen, um zu bestimmen, ob ein Wurf bestanden wurde, oder nicht. (Wobei man sich dabei an einer vorher bestimmten Anzahl an Mindesterfolgen orientiert.)

Da Space 1889 ein System für das große Abenteuer ist, kommt allerdings dabei noch ein zusätzlicher Mechanismus zum tragen, der in letzter Zeit immer wieder aufgetaucht ist: Gummipunkte. Stilpunkte, wie sie hier heißen, erfüllen dabei drei mögliche Zwecke: Mann kann seinen Pool an Würfeln vergrößern, indem man zusätzliche Würfel kauft. Man kann durch sie Schaden, den ein Charakter erlitten hat, reduzieren. Außerdem kann man darüber hinaus andere Charaktere kurzfristig unterstützen. Auf diese Weise kommt ein gesondertes Aktion-Element ins Spiel, durch das sich diverse Szenen und Aktionen noch einmal verändern und dadurch diversen Aktionen einen anderen Anstrich geben.

Abgerundet wird all dies noch durch das Kapitel „Inspirationsquellen“, in dem (wie man es erhofft) eine sehr breite Palette an Beispielen aus Literatur, Film und Fernsehen aufgezählt wird, die sowohl aus unserer heutigen Sicht von damals, als auch Authentisch aus der damaligen Zeit selbst stammen. Das heißt, dass sich hier Jules Vernes Zeitgenossen aus Roman- und Pulp-Veröffentlichungen die Hand geben, neben neueren Vertretern des Steampunk-Genres.)

Optisch abgerundet wird das ganze durch einige Illustrationen, die Teilweise im Stil von Radierungen gehalten sind, zum Teil aber auch an Tuschezeichnungen erinnern. Jeweils in ein Layout gehüllt, das an ein altmodisches Journal eines Reisenden der damaligen Zeit erinnert, und vermutlich Assoziationen an einen entsprechenden Gebrauch wecken soll.

Fazit

Huh… was sagt man jetzt dazu? Space 1889 ist zu 100% Spaceopera, soviel kann man mit absoluter Gewissheit jetzt schon sagen. Die Frage ist halt eben: Welcher Stil Spaceopera ist hier vorhanden? Wahrscheinlich werden einige jetzt einfach die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und mit einem „Ist doch egal!“ mich mal wieder für verrückt erklären. Allerdings ist genau da der entsprechende Knackpunkt in der ganzen Geschichte doch sehr genau zu beachten. Der springende Punkt bei der Sache ist nämlich, dass sich hierbei die Frage stellt, was Arthur Conan Doyles oder Edgar Allen Poes C. Auguste Dupin machen würden, wenn ihre jeweiligen Fälle sie auf den Mars verschlagen hätten. (Es wird nicht umsonst unter den Inspirationsquellen Disneys „Der Schatzplanet“ erwähnt, der ja durchaus sehr stark verdeutlicht, dass es einen – nach heutiger Auffassung – anachronistischen Stil ausmacht, wenn eine vergangene Gesellschaftsform auf derart moderne Inhalte umgeschrieben wird. Man sieht es als Unterhaltung, aber man Bezweifelt es sehr stark. Nimmt es vielleicht Teilweise als Karikatur an.)

Insofern heißt es dabei durchaus umdenken und sich eine ganze Menge neuer Elemente einverleiben, die auf alten Aspekte des viktorianischen Zeitalters aufbauen. (Wo wir gerade bei Disney-Filmen sind: Wer erinnert sich an die Mutter aus Mary Poppins? Die Frau, die Tagsüber für ihr Wahlrecht kämpfte und Abends die brave Hausfrau und Mutter war? Na, klingelt’s? Richtig: Genau das ist der Punkt bei der ganzen Angelegenheit.)

Genau aus diesem Grund ist es verdammt gut, dass die Liste der Inspirationsquellen am Ende des Bandes auftaucht, um auf diesem Weg das Umdenken in eine solche Gesellschaft zu erleichtern und anschließend auf dieser Gesellschaft aufbauend, sich ins All zu begeben. (Man verwendet Musketen anstelle von Lasergewehren. Duelle sind eine alltägliche Sache, etc.)

Von daher kann es sein, dass sich für den Anfang erst einmal ein leichtes Gefühl von Desorientierung einstellt, da man noch zu Stark im SciFi Fokus von Star Trek und Star Wars steckt. (Nur die beiden zerstrittenen Lager gleichberechtigt zu erwähnen, die in diesem Bereich die Populärsten sind.) Hat man diese Hürde aber erst einmal überstanden (was durchaus mit Hilfe der Inspirationsquellen und einer Menge Eigendisziplinierung passieren kann) sollte es allerdings nicht mehr so schwierig sein die eigenen Storybögen in das neue Umfeld zu verpflanzen. (Nicht umsonst gilt ja auch in der heutigen Spaceopera das Prinzip, dass der Mensch zwar Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt ist, aber seine dringenden Hoffnungen und Träume immer noch mit den unseren vertraut geblieben sind.)

In diesem Sinne liefert Space durchaus hier und da auch einige Hinweise und kleinere Konfliktherde auf den einzelnen Planeten, die dazu führen könnten, das man als Mensch im alltäglichen Intrigenspiel auf dem Mars plötzlich versehentlich die eigene Regierung putscht. Oder das man schlicht und ergreifend eine interspezielles Zweckbündnis im Stile der Blutbruderschaft von Karl May erlebt. (Ja, ich meine Winnetou und Old Shatterhand.) Es ist alles Möglich, aber es ist halt unerwartet anders.

Wer sich auf diesen Punkt des Unerwarteten einstellen kann, bekommt ein erfrischend anderes Setting, dass für die meisten Spielertypen sicherlich mal wieder genug Reibungspunkte gibt, um jedem irgendwie Gerecht zu werden. Themen bietet Space 1889 jedenfalls aufgrund seines Hintergrundes genug. Das bedeutet zwar, dass die Gruppe sich sehr genau zusammensetzen muss, um den jeweils eigenen Flow in das Setting zu finden, aber das sollte im Zeitalter der bewussten Kommunikations-Problematik doch das geringste Problem sein.

Es spricht einiges dafür, dass man mit Space einiges an sehr guter Kurzweil erleben kann, und sei es nur um bestimmte Ideen in einer anderen, bislang fremd wirkenden Umgebung zu erleben, die man so wohl bislang eher nur aus dem Horror-Bereich zu kennen glaubte.

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