Montag, 7. Juli 2014

Rezension: Itras By

Cover: Itras By
Verlag: Vagrant Workshop
Ich sitze hier gerade vor einem dieser Rollenspiele, die man von der Idee her unglaublich intensiv schätzt... und wo man sich auf der anderen Seite jede Sekunde fragt, wie man den Kram einer anderen Person nur verständlich erklären soll. Itras by ist ein ursprünglich Norwegisches Rollenspiel von Ole Peder Glaever und Martin Bull Gudmudsen, das es in unseren Sprachraum dadurch geschafft hat, das die Jungs von Vagrant Workshop sich daran gemacht haben, das ganze bis jetzt in Englische zu übertragen. Dadurch, dass derzeit beinahe alle Vagrant Sachen (bis auf zwei ausnahmen) als Print on Demand Option angeboten werden hat man dabei noch die freie Auswahl, ob man das 226 Seiten umfassende Grundregelwerk als Hardcover oder Paperback gedruckt bekommen möchte. Und bevor hier irgendjemand auf dumme Ideen kommt: Ja: es ist Print on Demand. Nein: Das Ganze, was man dabei am Ende in Händen hält sieht nicht so aus, als wäre es von einem Copyshop um die Ecke gebunden worden. (Ihr wisst schon, was ich meine.)
Es ist ein gottverdammtes Buch, wie man es auch im regulären Laden erwartet.

Also, was ist Itras By denn nu? Im Grude genommen könnte man das Setting am ehesten in den Bereich der Urban Fantasy packen, aber: Die Grundlegende Inspirationsquelle sind dabei die 1920er Jahre in Kombination mit den Konzepten der Kunstgattung des Surrealismus und ganz viele Ideen, die irgendwo aus der Richtung eines China Mievilles stammen. (Wer Ideen bräuchte, sollte nochmal einen Blick in das Buch UnLunDun werfen. Das ist schon mal ein sehr guter Anfang.)
Dementsprechend beschreibt das Buch auf den ersten 80 Seiten auch nur im groben das Setting von Itras By, inklusive besonderer Persönlichkeiten und einem groben, zeitlichen Verlauf, was passiert ist, seit die Göttin Itras ihre Stadt vor ihrem verschwinden erschaffen hatte.
Und letzten Endes kann man Sagen: Hier gibt es alles. Seien es Gentlemens Clubs, welche in ihrer Freizeit in historischen Kostümen unterirdische Hölensysteme untersuchen. Oder Kriminalisten, welche Raubmorde untersuchen, deren Beute die Alpträume des Opfers waren, die auf dem Schwarzmarkt einen hohen Preis erzielen. (Oder ihr denkt euch selbst etwas aus. Hier sind genügend Möglichkeiten.)

Das System ist dabei sehr stark auf Assoziativität ausgelegt. Der Mechanismus besteht nämlich aus zwei Kartensätzen. Es existieren 8 sogenannte „Resolution Cards“, welche das ganze Spiel über immer wieder an bestimmten Stellen gezogen werden müssen, an denen es auf etwas ankommt und die entscheidende Stelle keinen klaren Ausgang zulässt. (Da Itras by sich aber als Erzählspiel definiert, handelt es sich hier nicht um konkrete werte, sondern um abstrakte Antworten auf die Frage „Gelingt mir das“, welche aber offen genug sind, um anschließend aus der gezogenen Karte heraus noch unerwartete Ergänzungen zur Szene hinzufügen zu müssen. (Wer das Buch „Improspiel“ von Graham Walmsley kennt: Im Grunde genommen ist dieser Kartenmechanismus auf das Konzept des „Ja, aber ...“ ausgelegt. Die meisten Karten sind darauf ausgelegt, dass kein eindeutiges Ergebnis direkt erzielt wird. Sprich, es gelingt nicht ausschließlich auf jeden Fall oder Mislingt auf jeden Fall. Stattdessen kann es so aussehen, dass man eine Kare mit „Yed, but ...“-Aufschrift zieht, während man in einer Höhle einen Spalt im Erdboden überspringen muss. Das heißt dann, das man zwar auf der anderen Seite ankommt, dafür dann aber gerade die Leine, welche man auf der anderen Seite für die restlichen Begleiter festspannen sollte, einem in den Abgrund gefallen ist... oder die Höhle stürzt ein.)
Dann gibt es jenseits dieser Resolution-Cards noch s.g. „Chance-Cards“, welche das Spiel zusätzlich ergänzen. Eine Chance Card wird etwa einmal am Anfang einer Spielsitzung gezogen – oder wann es jeweils passt – und die Beschriftung der Chance Card gibt ein zusätzliches Thema für den Charakter des entsprechenden Spielers, was er in den Verlauf des Abends mit einweben soll. (Ich sollte an dieser Stelle erwähnen, dass diese Karten hinten im Grundregelwerk zum rauskopieren bereitliegen. Aber: Da DriveThru seid neuestem auch mit einem Kartendrucker kooperiert, gibt es auch ein zusätzliches Angebot, die Karten im PoD-Verfahren als Spielkarten in die Hand zu bekommen.)
Zur Charaktererstellung: Das ist ein wenig komplizierter, weil man die Charaktererschaffung als nonlineares Wischi-Waschi-Moment begreifen kann. Anstelle von Werten existieren nämlich bestimmte Fragen, die man sich stellen muss:
Und zwar läuft es auf 8 Punkte hinaus, die Beantwortet werden müssen: Idea, Background, Dramatic qualities, Personality, Intrigue Magnets, Supporting characters, The other characters und Other Details.
Also werden hier aus der Gruppe, bei der Charaktererschaffung heraus eher in Stichpunkten und Prosa festgelegt, was man spielt, was den jeweiligen Charakter interessant macht und wie die Verzahnung zu den anderen Spielfiguren ausmacht. Nonlinear ist das deswegen, weil man dabei ständig zwischen den Punkten hin und her springen kann, und auch vereinzelte Bereiche noch ein zweites Mal rückwirkend überarbeitet, weil einem neue Ideen bei einem anderem Punkt gekommen sind. Ja, das kann bedeuten, dass auf diesem Weg ganze Romane entstehen. Von daher wird hierbei eine gewisse Selbstdisziplin von den Spielern verlangt, dass sie eben nicht ihren Beitrag zum nächsten Kurzgeschichtenwettbewerb auf tausend Seiten produzieren. (Und um die Runde nicht vollständig im dunkeln zu lassen, werden natürlich auch ein paar Beispielpersonen präsentiert, an derem Aufbau man sich orientieren kann.)
Den Abschluss bilden dann Hilfestellungen, die eigentlich ausschließlich für den SL von Interesse sind. In diesen Abschnitten wird nämlich erklärt, was man wie in Itras by an Abenteurkonzepten umsetzen könnte. Und natürlich eine abschließende Erklärung, wie die Ideen des Surrealismus in diese Spiel eingeflossen sind.

Das Ganze wird durch Illustrationen abgerundet, die aus den Federn von Kathy Schad und Thore Hansen stammen, sich leicht an altmodischem Dreifarbdurck orientieren und irgendwo zwischen altmodischen Karikaturen und unbewussten Skizzen stilistisch Rangieren. Das ist übrigens eine positive Wertung, weil diese Illustrationen sehr schlüssig und in sich Stimmig zum gesamten Thema des Spieles eingebunden sind.

Fazit

Wie ich Anfangs sagte: Es ist schwierig ein vernünftiges Bild von Itras by zu übermitteln. Fest steht, dass das Setting sehr interessant ist, aber von allen Spielern eine gewisse Bereitschaft voraussetzt, sich auf phantastische Elemente weit jenseits des Gewohnten einzulassen. Das dazu dann auch noch das extrem eigenwillige Konzept freien Assoziierens durch ein aufgebohrtes „Arkana“-System hinzukommt, macht die Geschichte auch nicht unbedingt einfacher. (Zumindest wenn man einige Äußerungen aus dem Netz bezüglich des deutschen Primus im Arkana-Bereich, Engel, sich so ansieht. Natürlich sollte man das hier nicht so verstehen, dass die Karten von Itras by eine Kopie des Arkana-Systems von Feder & Schwert/Uhrwerk-Verlag sei. Das Ganze ist doch sehr weit auseinander von dem Konzept mit den Engels-Tarot-Karten. Aber insgesamt doch nah genug dran, damit sich jeder bei der Äußerung „Arkana-Karten“ etwas darunter vorstellen kann.
Das macht die Sache alles in allem schwierig.
Aber: Wer die Vorbilder kennt und sich mit seinen eigenen, möglichst durchgeknallten Ideen auf diesen Bereich einlassen kann und nach entsprechenden Gegenbenheiten sucht, mal eine etwas andere Stadt zu beschäftigen, als die Metropolen der Gegenwart oder die Dörfer der mittelalterlich assoziierten Fantasy, wird gerade hier eine unverbrauchte Leinwand vorfinden, die sehr viel verspricht. Alles in allem ist das hier also gerade ein Spiel, um Geschichten zu erzählen.
Und es ist genau dieser Umstand, der es allen ermöglicht, sich einmal experimenteller auszutoben. Und weil Norwegisch nunmal nicht unbedingt „die Sprache für den Hausgebrauch“ ist, bekommt man auf diesem Weg einmal einen Einblick, wie unsere europäischen Nachbarn sich an das Thema Rollenspiel annähern. Und das macht ebenfalls Neugierig, auf diesem Weg einmal aus dem schwerpunktmäßig amerikanisch dominierten Markt auszubrechen.
Alles in allem also ein sehr brauchbares Spiel aus der Indy-Ecke, das nicht sofort dem Forge-Gedanken entspringt.

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