Montag, 10. April 2017

Von der Performativität des Spiels

„Wenn man aufsteht heißt es Larp.“, ist ein vielgescholtener Ausspruch, der mir schon einige Male in dieser oder anderer Formulierung im Netz begegenet ist. Die Basis-Idee dahinter ist, dass es sich beim Rollenspiel in seiner Pen&Paper-Umsetzung im Grunde um eine Brettspielvariante handelt. Das heißt die entsprechende Runde sich um einen Tisch versammelt hat und wie an Gewichten auf den Sitzflächen der jeweiligen Stühle hängen bleibt. Das ist durchaus eine legitime vorgehensweise, aber sie es gibt auch ein paar Argumente, die für eine andere Vorgehensweise sprechen.
Die Basisüberlegung ist eine Idee, die aus der frühen Schule der philosophischen Antropologie stammt und sich in dieser Form bis in die heutige Theorie der Performance-Kunst rübergerettet hat. (Man bemerkt also mal wieder: Der Vorwurf, dass ich Kunst-Theorie in vielen Bereichen auf unser Hobby übertrage ist absolut gerechtfertigt. ;) )

Aber ich schweife ab. Der Punkt, um dem es mir hier geht, ist der, wie unsere Wahrnehmung als Menschen letzten Endes funktioniert. Grundsätzlich gilt für jeden Moment, den wir erleben, dass dieses Erlebnis nicht nur einfach eine Wahrnehmung von Reizen der einzelnen Sinne ist, sondern Zeitgleich eine reflektion unserer eigenen Körperlichkeit innerhalb eines Raumes darstellt, den wir performativ erfahren. Der Begriff des Raumes ist innerhalb dieser Sichtweise ein Ort, den wir durch unsere körperliche Bewegung überhaupt erst erfahren. Im normalen Alltag bedeutet das, dass wir uns zum Beispiel durch einen langen Gang bewegen und in dem Augenblick, wo wir um eine Ecke biegen zwar immer noch am selben Platz sind, an dem wir schon die ganze Zeit unterwegs wahren, auf der phänomenologischen Ebene aber mit einem mal ein gänzlich anderes Erlebnis erfahren. Insofern haben wir dadurch, dass wir durch unseren Körper einen anderen Bezugspunkt innerhalb des Raumes eingenommen haben, ein verändertes Erlebnis geschaffen. Das wird für diesen Artikel insofern ziemlich zentral, weil sich meine Überlegungen hierbei um ein paar Faktoren innerhalb der regulären Gruppendynmik drehen, die mir über die letzten Jahre immer wieder mal aufgefallen sind. Jetzt gebe ich offen zu, dass ich eher eine introvertierte Persönlichkeit bin. Ich tendiere dazu, über Dinge vielleicht einen kleinen Moment länger nachzudenken. Allerdings geht es nicht nur mir so. Viele meiner Mitspieler haben über die Jahre immer wieder ihre Worte sehr genau in gewissen Szenen zurechtgelegt. Und gleichermaßen wird dann gelegentlich darüber OT beratschlagt, was man in einer solchen Situation denn bitte erwidern soll. Das solche Momente vollständiger Downtime nicht unbedingt Immersionsfödernd sind, sollte offensichtlich sein. Und gerade weil solche Faktoren gelegentlich ungeheuer nerfend sind, fangen manche SLs an Methoden anzuwenden, um einen gewissen Druck zu erzeugen. (Eines der bildhaftesten Beispiele von dem ich gelesen habe war, wie ein SL OT eine Sanduhr auf dem Tisch aufstellte um damit den realen Zeitramen zu symbolisieren, den die Charaktere hatten, um einen wichtigen SLC davon zu überzeugen, ihnen nichts schlimmes anzutun.) Diese Form von Druck kann ein brauchbarer Faktor sein, hilft aber wenig dabei um wirkliche Dynamik in die Situation zu bringen, wie sie bei dem von mir aufgezeigten Beispiel eher zu einem spontanen Blackouts führen, in denen die Spieler überhaupt nicht mehr wissen, was sie jetzt eigentlich tun sollen (oder würden).

Und das alles nur, weil man in diesem Fall ein ungeschriebenes (geschweige denn jemals ausgesprochenes) Gesetz einer „Komfort-Zone“ annimmt. Sprich: Wir nehmen uns von Anfang an die Option einer wesentlich natürlicheren Reaktion, weil wir davon ausgehen, dass sich irgendjemand zu wenig verhätschelt fühlt, wenn man die Situation durch körperliche Aktionen noch einmal greifbarer macht. Nur damit das klar ist: Mir geht es nicht darum, dass ihr mit einem mal damit anfangt eure Mitspieler wirklich physische Gewallt erfahren zu lassen. Viel eher geht es darum, dass körperliche Nähe und verschiedene Gegenstände, die in dem Raum zwischen zwei Körpern eingesetzt werden, eben dabei helfen können, ein klareres Bild zu erzeugen, was der Charakter gerade tatsächlich erlebt. (Und darauf dann aufbauend eine sehr spontane Reaktion erfahren zu lassen.)

Nur um ein Beispiel zu nennen: In meiner derzeit theoretisch noch existierenden „Werwolf: The Apokalypse“-Runde (in der ein Mitglied meiner alten Vampire-Live-Domäne die SL macht) hatte meine Ragabash Mik und eine der SLC Selene, von der Bekannt ist, dass sie den Garou nur Feindlichkeit gegenüber aufbringt eine etwas kritische Unterhaltung gehabt. Bei diesem Gespräch hatte Selene einen bestimmten Wutfaktor von Mik getriggert, die sich darauf in die Glabro-Form verwandelte und auf den SLC bedrohlich zuging. Selene zückte darauf hin ein Messer und hielt es Mik direkt an die Kehle. Der Punkt bei der Sache war, dass ich in dem Augenblick, wo sich Mik verwandelte, aufstand und auf unsere SL zuging, die mir daraufhin den Stil eines Löffels tatsächlich an die Kehle hielt. Und dadurch haben wir das Gespräch mit einer entsprechenden „Pattsituation“ zwischen den beiden Charakteren gereizt zu Ende geführt. Jedoch war das Erlebnis für alle beteiligten in dem Moment deutlich griffiger und vom Erlebnis her intensiver. (Zugegeben: Durch den gemeinsamen Vampire-Live-Hintergrund hatten sowohl SL als auch Ich ein gewisses Zusammenspiel in dem Berich bereits entwickelt. Wir kennen uns entsprechend gut und wissen auf wir uns halbwegs mit dem anderen einzustellen haben. Nur hatte unsere SL von Anfang an diesen wesentlich performatiferen Ansatz in dieser Runde eingeschlagen. Von daher waren die beiden Anderen nicht überrascht, konnten aber trotzdem sehr viel aus dieser speziellen Szene mitnehmen. Vor allen Dingen weil in diesem speziellen Fall auch Zeitgleich eine besondere Information über meinen Charakter Preis gegeben wurde, den ich bis dahin unter Verschluss gehalten hatte. Außer unserer SL gegenüber natürlich, die zu dem Zeitpunkt schon die eigentliche „Dramaepisode“ mit mir längst ausgespielt hatte.)

Zugegeben: Eine derartige Vorgehensweise funktioniert vermutlich weniger Gut, wenn man … na, nennen wir es mal „Ergebnisorientiert“… vom Spielstil her vorgeht und den Fokus weniger auf die Charaktere gesetzt hat. (Also tatsächlich eher in die brettspielhafte Richtung tendiert.) Jedoch harmonisiert es deutlich gut, wenn man eh eher narativ oder, noch besser, Methodactorhaft unterwegs ist. Denn der Punkt bei der Sache ist ohnehin immer das geliche Problem: Dadurch das wir kein genau komponiertes Bild durch die Methode des Sceneframings erzeugen können, sondern das Kopfkino bei jedem Spieler anders abläuft, genauso wie jeder Spieler das innere Bild eines Charakters aus anderen Versatzstücken, die er kennt, zusammenbaut, ist es auch durch reines Beschreiben sehr schwierig zu vermitteln, wie die Dynamik einer Szene letzten Endes abläuft. Indem wir allerdings mit einem mal tatsächlich eine performative Komponente ins Spiel mit einbringen wird das Kopfkino deutlich gezielter in einen halbwegs einheitlichen Vorstellungsraum gebracht. In der Vorstellung der einen Person hält gerade Meridia aus den Highlands die Klinge an die Kehle von Angelina Jolie, in der des anderen sind es Melissa McCarthy und eine junge Sigourney Weaver. Und bei dem anderen sieht der entsprechende Ort aus wie die Krippe, die man seid Jahren unter den Weihnachtsbaum stellt, während der andere einen Stall von dem Ponyhof assoziiert, an dem er als Kind immer Urlaub gemacht hat. Nur: Die Konstellation in der Dynamik der beiden Charaktere zueinander ist deutlich plastischer und eindeutiger.

Und das ist halt eben der entsprechende Vorteil bei der ganzen Sache: Wir stehen in jeder Situation im Spiel immer in einer gewissen Konstellation von Verhaltensregeln, die wir mal mehr und mal weniger eindeutig verinnerlicht haben. Und die, dadurch das wir uns in einer fiktiven Gesellschaft bewegen noch einmal anders ausgeartet werden können. Sprich: Die Frage, wie man letzten Endes auf einen bestimmten Zusammenhang reagiert, bleibt in jeder dieser Situationen offen und muss jedesmal erneut für sich beantwortet werden. Angesichts der künstlichen Situation innerhalb der Runde am Spieltisch kann es dabei aber zu verzögerungen kommen, weil man einfach innerhalb dieser ganzen Aktion blockiert.


Wir sind aber Wesen, deren kompletter Erfahrungshorizont aus Bewegung innerhalb eines Raumes entspringt. Und das bietet die Situation am Spieltisch durchaus auch. Zwar in einem deutlich reduzierterem und abstrakterem Raum, aber sie ist vorhanden. Und es ist (zumindest mir) ziemlich unklar, warum man diese Möglichkeit nicht nutzen sollte.

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